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Georg von der Gabelentz wurde am 16.3.1840 in Poschwitz bei Altenburg als Sohn des Sprachwissenschaftlers Hans Conon von der Gabelentz (1807-1874) geboren; nach der Schule Studium von Jura, Kameralistik und Sprachwissenschaft 1859-63 in Jena, 1863-64 in Leipzig. 1864-78 Verwaltungsjurist im sächsischen Staatsdienst; 1876 Promotion mit einer sinologischen Arbeit; 1878-89 Professor für ostasiatische Sprachen in Leipzig, 1884-1890 Mitherausgeber von Techmers Internationale Zeitschrift für Allgemeine Sprachwissenschaft; ab 1889 ordentlicher Professor für ostasiatische Sprachen und allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin; 1890 Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften; 1891 erscheint sein Hauptwerk Die Sprachwissenschaft; 11.12.1893 in Lemnitz gestorben (Narr & Petersen 21972: 2; http://www.uni-erfurt.de/sprachwissenschaft/personal/lehmann/CL_Lehr/Gesch_SW/Gabelentz/Gabelentz.html.


Gabelentz gehört zweifellos zu den Vordenkern der quantitativen Linguistik in Deutschland (Best 1999); er entwirft in einer postum veröffentlichten Schrift das Programm einer sehr modern anmutenden, quantitativen Sprachtypologie und meint: „aus einem Dutzend bekannter Eigenschaften einer Sprache müsste man mit Sicherheit auf hundert andere Züge schliessen können; die typischen Züge, die herrschenden Tendenzen lägen klar vor Augen“ (Gabelentz 1894: 7). Allgemeiner drückt er sich in Gabelentz (²1901: 481) aus: „Was man bisher von geistiger Verwandtschaft, von verwandten Zügen stammverschiedener Sprachen geredet hat, das würde hinfort greifbare Gestalt gewinnen, in ziffermäßig bestimmten Formeln dargestellt werden.“ Es handelt sich in diesem Fall um einen Auszug aus einer längeren Passage, die erst postum in das Werk eingefügt wurde und in der Erstauflage (Gabelentz 1891) noch fehlt. Hier ist also zu fragen, ob diese postum eingefügten Aussagen von Gabelentz selbst oder vom Herausgeber der Neuauflage stammen. Plank (1991: 425) hält sie zumindest in Teilen für authentisch. Coseriu (1972: 29) verweist ohne Bezugnahme auf ein spezielles Werk darauf, dass Skaličkas Typologie dem in Gabelentz (21901) vorgetragenen Konzept entspricht, sofern es um die „Wechselwirkungen“ zwischen Eigenschaften des Sprachsystems geht. Man muss hinzufügen: „ziffermäßig bestimmte Formeln“ fehlen in den entsprechenden Arbeiten Skaličkas, z.B. in Skalička (1966/1979). Dieser besondere Aspekt seiner „Typologie“ (dieser Begriff wird in Gabelentz 21901: 481 vorgeschlagen), das sprachstatistische Programm, das Gabelentz (1894) prägnant formulierte, scheint lange Zeit in der Sprachwissenschaft übersehen oder verkannt worden zu sein. Es hat rund 70 Jahre gedauert, bis seine Ideen − allerdings unbekannterweise − im Ansatz verwirklicht wurden. Erst nachdem Greenberg (1960) nämlich seine typologischen Indizes entwickelt hatte, haben Krupa & Altmann (1966) sowie Altmann & Lehfeldt (1973: 45) Korrelationen zwischen diesen Indizes berechnet. Auf dieser Basis lassen sich dann mit den Mitteln der numerischen Taxonomie (Sneath & Sokal 1973) neue Klassifikationen von Sprachtypen entwickeln, wie dies Altmann & Lehfeldt (1973: 34ff.) vorgeführt haben. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit besteht darin, dass man die Ausprägung einzelner Eigenschaften in einer Sprache misst und von diesen her Voraussagen über andere, mit ihnen verbundene Eigenschaften machen kann. Dies wäre genau das Programm, das Gabelentz sich vorgestellt hatte.


Noch ein weiterer Aspekt ist hervorzuheben. So betont Gabelentz den Wert statistisch abgesicherten Wissens so stark und auch so allgemein, dass man den Eindruck gewinnen kann, er wolle dieses Prinzip nicht auf typologische Fragen beschränkt sehen. „Aber wie weit ist sie [die Subjektivität; Verf.] zurückgeschoben, wie weit reicht das objektivste, was man verlangen kann, das zahlenmäßig festgestellte. Geriete das Werk nur soweit, nur bis zu einer unanfechtbaren Statistik, so hätte die allgemeine Sprachwissenschaft nicht länger die sprachgeschichtliche Forschung um ihren festen Baugrund zu beneiden“ (Gabelentz 1894: 7). An anderer Stelle heißt es, man solle Gedanken „in eine kontrollierbare Form...kleiden, und besser kontrollierbar ist keine als die statistische“ (Gabelentz 1894: 4).


Literatur

Altmann, G., Lehfeldt, W. (1973). Allgemeine Sprachtypologie. München: Fink.

Best, K.-H. (1999). Quantitative Linguistik: Entwicklung, Stand und Perspektive. Göttinger Beiträge zur Sprachwissenschaft 2: 7-23.

Coseriu, E. (1972). Georg von der Gabelentz und die synchronische Sprachwissenschaft. In: Gabelentz (1901/²1972), S. 3-35).

Gabelentz, G. von der (1891). Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse. Leipzig: Weigel.

Gabelentz, G. von der (1894). Hypologie [= Typologie] der Sprachen, eine neue Aufgabe der Linguistik. Indogermanische Forschungen 4: 1-7.

Gabelentz, G. von der (1901). Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse. Zweite, vermehrte und verbesserte Auflage. Herausgegeben von Dr. Albrecht Graf von der Schulenburg. Leipzig: Tauchnitz. (Neuauflage: Mit einer Studie von Eugenio Coseriu neu herausgegeben von Gunter Narr und Uwe Petersen. Tübingen: Tübinger Beiträge zur Linguistik 1969, ²1972).

Greenberg, J. H. (1960). A quantitative approach to the morphological typology of languages. International Journal of American Linguistics 26, 178-194.

Krupa, V., Altmann, G. (1966). Relations between typological indices. Linguistics 24: 29-37.

Narr, G., Petersen, U. (²1972). Vorwort der Herausgeber. In: Gabelentz (1901/²1972), S. 1-2.

Plank, F. (1991). Hypology, Typology: The Gabelentz Puzzle. Folia Linguistica XXV: 421-458.

Skalička, V. (1966/1979). Ein „typologisches Konstrukt“. Travaux linguistiques de Prague 2, 1966, 157-163. Auch in: Vladimír Skalička (1979). Typologische Studien: 335-341. Mit einem Beitrag von Petr Sgall. Herausgegeben von Peter Hartmann. Braunschweig/ Wiesbaden: Vieweg.

Sneath, Peter A., & Sokal, Robert R. (1973) Numerical Taxonomy. San Francisco: Freeman.


Quelle im Internet: http://www.uni-erfurt.de/sprachwissenschaft/personal/lehmann/CL_Lehr/Gesch_SW/Gabelentz/Gabelentz.html.


Quelle

Karl-Heinz Best: Glottometrics 9, 2005, 75-89