Ergativität
Ergativität (auch: ergativische Ausrichtung, engl. ergative alignment) ist ein Merkmal vieler Sprachen, die syn.-sem. Rollen {S, A, P}, die die gramm. Relationen repräsentieren, so zu gruppieren, daß S und P gleichbehandelt und damit A gegenübergestellt werden (S=P vs. A). Demgegenüber steht u.a. die akkusativische Ausrichtung: S=A vs. P
Welche Ausrichtung eine Sprache verwendet, zeigt sich in den Bereichen
- Kasusmarkierung
- Verbkongruenz (engl. verbal agreement)
- Wortstellung
- syntaktische Prozesse (Koordination, Relativisierung, Anapher-Bindung etc.)
Contents
Der Begriff "Ergativsprache"
Wird verwendet für:
- Sprachen mit ergativischer Kasusmarkierung (Ergativkasus für A-Argumente, Absolutivkasus für S- und P-Argumente)
- Yup'ik (Eskimo-Aleut; Alaska, Sibirien)
a. Doris-aq ayallruu-q. b. Tom-am Doris-aq cingallru-a. Doris-ABS reisen.PT-3s.S Tom-ERG Doris-ABS grüßen.PT-3s.A "Doris(S) reiste." "Tom(A) grüßte Doris(P)."
- Sprachen mit ergativischer Verbkongruenz (mit/ohne ergativ. Kasusmarkierung)
- Yup'ik
a. Ayallruu-nga. b. Ayallruu-q. c. Cingallru-a-nga. reisen.PT-1s.S reisen.PT-3s.S grüßen.PT-3s.A-1s.P "Ich reiste." "Er reiste." "Er grüßte mich."
Der Begriff "Ergativsprache" beschränkt sich also auf die Morphologie. Er sagt nichts darüber aus, welche Ausrichtung die Sprache in den anderen o.g. Bereichen (in der Syntax) verwendet.
Gesplittete/Partielle Ergativität
Einige Sprachen verwenden zwei verschiedene Ausrichtungen innerhalb einer Kategorie (i.d.R. ergativische und akkusativische).
a) Splittung abhängig von Tempus/Aspekt, und zwar ergativisch in PST/PFV Kontexten, sonst akkusativisch:
- Georgisch (Kartvelisch; Georgien)
a. Student-i midis (mivida). Student-NOM(ABS) geht (ging) "Der Student geht (ging)." b. Student-i ceril-s cers. Student-NOM Brief-AKK schreibt "Der Student schreibt den Brief." (S=A) c. Student-ma ceril-i dacera. Student-ABS Brief-ABS schrieb "Der Student schrieb den Brief." (S=P)
b) Splittung abhängig von sem./pragm. NP-Hierarchie, und zwar ergativisch bei niedrigrangigen Argumenten, akkusativisch bei hochrangigen Argumenten:
- Pronomen der 1./2. Person > Pronomen der 3. Person > andere NPs
=> siehe Dyirbal-Beispiel (Notiz: im Dyirbal ist NOM = ABS)
- Kongruenz > NP-Kasus
=> siehe Ese-Beispiel (Notiz: im Ese ist NOM ≠ ABS)
- menschlich > nicht-menschlich, belebt > unbelebt
- definit > indefinit
- Dyirbal (Pama-Nyungisch; Australien)
- a. 1./2. Person: Akkusativische Ausrichtung
ngana-Ø (nyura-Ø) banaga-nyu 1p-NOM (2p-NOM) zurückkommen-NONFUT "Wir kamen zurück. (Ihr kamt zurück.)"
nyura-Ø ngana-na bura-n 2p-NOM 1p-AKK sehen-NONFUT "Ihr saht uns."
- b. andere NPs: Ergativische Ausrichtung
ŋuma-Ø (yabu-Ø) banaga-nyu Vater-ABS (Mutter-ABS) zurückkommen-NONFUT "Vater (Mutter) kam zurück."
ŋuma-Ø yabu-ŋgu bura-n Vater-ABS Mutter-ERG sehen-NONFUT "Mutter sah Vater."
- Ese (aka Managalasi; Östlich-Trans-Neuguineisch; Papua Neu-Guinea)
a. a vaʔ-ena 2s.ABS gehen-FUT.2s.S/A "Du wirst gehen." b. na vaʔ-ejo 1s.ABS gehen-FUT.1s.S/A "Ich werde gehen."
c. nara a an-aʔ-ejo 1.ERG 2s.ABS schlagen-2s.P-FUT.1s.S/A "Ich werde dich schlagen." d. ara na an-iʔ-ena 2s.ERG 1s.ABS schlagen-1s.P-2s.S/A "Du wirst mich schlagen."
Syntaktische Ergativität
Problem: Einige Ergativsprachen sind uneinheitlich in Bezug auf die Ausrichtung in syntaktischen Prozessen.
Anderson(1976): "Most morphologically ergative languages are based on S=A (subject)."
=> Beweis anhand von syntaktischen Tests (equi-NP-deletion, subject-raising etc.)
Dixon(1979): "If a language is morphologically ergative, it can be syntactically ergative OR accusative."
=> Einführung des Begriffs mixed-pivot language für z.B. Tagalog, Inuit, Maya-Sprachen, Chukchi, Toba Batak, Tsimshian-Sprachen, Nadeb.
Manning(1996): "The so-called mixed-pivot behaviour is not random but expected, if syntactic ergativity is appropriately defined. The mixed-pivot languages have a consistent breakdown of properties."
=> Jede mixed-pivot Sprache unterscheidet angeblich 2 Arten von syntaktischen Prozessen:
1. Prozesse, die auf der Ebene von gramm. Relationen operieren (Koordination, Spezifizität, Relativisierung, Topikalisierung), seien typischerweise ergativisch ausgerichtet (syntaktische Ergativität). => Relativisierung im Dyirbal, Konjunktions-Reduktion im Yup'ik, ...
2. Prozesse, die auf der Ebene der Argument-Struktur operieren (binding, control, IMP-addressee), seien dagegen akkusativisch ausgerichtet (syntaktische Akkusativität).
Fazit: Ergativität ist kein auf die Morphologie beschränktes Phänomen, sondern kann auch in der Syntax einer Sprache mehr oder weniger weit verbreitet sein.
Keine Ergativsprache verwendet allerdings durchgehend ergativische Ausrichtung, sondern in mindestens einem Winkel ihrer Grammatik auch die akkusativische Ausrichtung.
Literatur
- Manning, Christopher (1996): Ergativity: Argument structure and grammatical relations. Stanford: CSLI Publications.
- Payne, Thomas (1997): Describing morphosyntax. Cambridge:CUP.