Kreolsprache

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Synonyme und Übersetzungen

Kreol, Kreolsprache, engl. creole, frz. créole

Definition

Kreolsprachen sind im Zuge der Kolonialexpansion entstandene Kontaktsprachen, die häufig bestimmte grammatische Merkmale (insbesondere auf der Ebene Morphosyntax) gemeinsam haben, während ihr Wortschatz größtenteils auf die Sprache der Kolonisatoren (Lexifier-Sprache) zurückzuführen ist (vgl. Patzelt 2014: 677).

Geographische Verbreitung

Wichtige spanisch-basierte Kreolsprachen sind das Chabacano auf den Philippinen, das Palenquero in Teilen Kolumbiens und das iberoromanisch-basierte Papiamentu auf den niederländischen Antillen (vgl. Eckkramer 2013: 51). Bei den französisch-basierten Kreolsprachen lassen sich zwei große Gebiete unterscheiden: die Karibik mit den Kreolsprachen auf Haiti, den Kleinen Antillen und in Louisiana (USA) sowie der indische Ozean mit den Kreolsprachen auf den Seychellen, Réunion und Mauritius. Das Haitianische bildet mit 7 Millionen Sprecher*innen die größte Kreolsprecher*innengemeinschaft weltweit (vgl. Bollée 2002: 130). Ebenso sind Englisch, Portugiesisch und Niederländisch häufige Lexifier, aus denen sich Kreolsprachen entwickelt haben. Einen Überblick über die verschiedenen Kreolsprachen der Welt sowie ihre grammatischen Merkmale bietet der Atlas of Pidgin and Creole Language Structures (APiCS) (vgl. Haspelmath u.a. 2013).

Grammatische Merkmale

Charakteristisch für zahlreiche Kreolsprachen (unabhängig vom Lexifier) ist das Vorhandensein bestimmter grammatischer Merkmale. Dazu gehören der Ausdruck der Kategorien Tempus, Modus und Aspekt durch (oft präverbale) Partikeln (sog. TAM-Marker), die kaum vorhandene flexionale Affigierung sowie die Satzgliedstellung Subjekt-Prädikat-Objekt (vgl. Mutz 2017: 40, Patzelt 2014: 677). Im nachfolgenden haitianischen Beispiel 1 (nach Fattier2013) wird der imperfektive Aspekt durch den Marker ap und das Tempus Futur durch den Marker va angezeigt. Die Verben manje, fini und ale tragen keine Flexionsaffixe.

(1) M     ap   manje lè   m     fini    m      va   ale.
    1.Sg. IPFV essen wenn 1.Sg. beenden 1.Sg. FUT  gehen
    ‘Ich esse gerade. Wenn ich fertig bin, werde ich gehen.’

Hypothesen zur Genese der Kreolsprachen

Die Frage nach der Entstehung der Kreolsprachen ist nicht eindeutig beantwortet. Traditionell wurden Kreolsprachen als grammatisch stark vereinfachte Formen des Lexifiers gesehen, die sich durch Nativisierung eines Pidgins (Ein Pidgin ist eine für einen konkreten Zweck bestimmte Kontaktvarietät.) entwickelt haben. Ihre Abgrenzung von anderen Kontaktvarietäten anhand sprachinterner Kriterien ist schwierig, weshalb vor allem der besondere Entstehungskontext der Kolonialisierung und des starken sozialen Gefälles zwischen der dominierenden und der dominierten Gruppe als sprachexternes Kriterium herangezogen wird. Auch ihre typologische Einordnung als Sprache aus der Familie des Lexifiers oder eigener Sprachtyp ist umstritten (vgl. Ludwig 2003: 298). Zur Kreolgenese werden im Wesentlichen die nachfolgenden Ansätze diskutiert, zu denen Mutz (2017) einen Überblick in Bezug auf die französisch-basierten Kreolsprachen gibt.

Monogenetische Theorien

Bei den monogenetischen Ansätzen wird davon ausgegangen, dass die Kreolsprachen unterschiedlicher Lexifier aufgrund der strukturellen Ähnlichkeiten auf eine gemeinsame Ursprungssprache zurückgehen. Hierfür käme nach Whinnom ein portugiesisch-basiertes Protokreol in Frage (vgl. Whinnom 1956).

Substrattheorie

Die Substrattheorie nimmt an, dass Kreolsprachen durch Relexifizierung (mit dem Vokabular des Lexifiers) einer (westafrikanischen) Substratsprache entstanden sind. Die grammatischen Strukturen würden größtenteils auf dem Substrat basieren (vgl. Sylvain 1979, Lefebvre 2011: 127). Sylvain beschreibt die Entstehung des Haitianischen durch französische Relexifizierung eines afrikanischen Substrats folgendermaßen:

Nous sommes en présence d’un français coulé dans le moule de la syntaxe africaine ou, comme on classe généralement les langues d’après leur parenté syntaxique, d’une langue éwé à vocabulaire français (Sylvain 1979: 178)./ Wir haben es hier mit einem in die Form der afrikanischen Syntax gegossenen Französisch zu tun, oder, da man Sprachen allgemein nach ihrer syntaktischen Verwandtschaft klassifiziert, mit einer Ewe-Sprache mit franzöisischem Vokabular (eigene Übersetzung).

Polygenetische Theorien/Superstrattheorie

Die polygenetischen Ansätze nehmen an, dass Kreolsprachen nicht nur im Wortschatz, sondern auch in der Grammatik zu großen Teilen auf die Sprache der dominierenden Gruppe/Superstratsprache zurückzuführen sind. Chaudenson unterscheidet dabei zwei Phasen der Kreolisierung (in Bezug auf französisch-basierte Kreolsprachen im indischen Ozean): In der ersten Phase (société d’habitation/Wohngemeinschaft) ist die Zahl der Arbeiter (zumeist Sklaven) und Kolonisatoren ausgeglichen, sodass die Sklaven direkten Zugang zur dominierenden Sprache erhalten. In der zweiten Phase (société de plantation/Plantagengesellschaft) kommen viel mehr neue Sklaven für die Arbeit auf den Plantagen an, sodass sie den Kolonisatoren zahlenmäßig überlegen sind. Das hat zur Folge, dass die neu Ankommenden keinen direkten Zugang zur dominierenden Sprache haben, sondern v.a. zu den Lernervarietäten der Sklaven aus Phase 1. Sie bilden neue Approximationen des Lexifiers, welche ihre in den Kolonien geborenen Kinder als Muttersprache erwerben. Ein zentraler Punkt von Chaudensons Theorie ist, dass es somit keinen Bruch in der Weitergabe des Lexifiers und kein Pidgin-Stadium gibt (vgl. Chaudenson 1992).

Universalientheorie

Die Universalien-Theorie geht davon aus, dass universelle Mechanismen des Zweitspracherwerbs bei der Kreolgenese wirken und erklärt dadurch die strukturellen Ähnlichkeiten von Kreolsprachen unterschiedlicher Lexifier. Bickerton stellt auf Grundlage des Hawaiianischen die Theorie eines angeborenen Language Bioprogram auf, mit dem die Kinder der Sklaven das ihnen dargebotene Pidgin beim Erstspracherwerb zu einer komplexen Muttersprache umgebaut haben sollen (vgl. Bickerton 2016).

Literatur

  • Bickerton, Derek. 2016. Roots of Language. Berlin: Language Science Press. https://doi.org/10.26530/OAPEN_603354.
  • Bollée, Annegret. 2002. Pidgin- und Kreolsprachen auf französischer Basis. In Ingo Kolboom, Thomas Kotschi & Edward Reichel (Hrsg.), Handbuch Französisch. Sprache, Literatur, Kultur, Gesellschaft. Für Studium, Lehre, Praxis, 121–127. Berlin: Erich Schmidt Verlag.
  • Chaudenson, Robert. 1992. Des îles, des hommes, des langues. Essais sur la créolisation linguistique et culturelle. Paris: L’Harmattan.
  • Eckkramer, Eva. 2013. Kreolsprache. In Sandra Herling & Carolin Patzelt (Hrsg.), Weltsprache Spanisch. Variation, Soziolinguistik und geographische Verbreitung. Handbuch für das Studium der Hispanistik, 43–56. Stuttgart: ibidem-Verlag.
  • Fattier, Dominique. 2013. Haitian Creole structure dataset. In Martin Haspelmath, Magnus Huber, Philippe Maurer & Susanne Michaelis (Hrsg.), Atlas of Pidgin and Creole Language Structures Online. https://apics-online.info/contributions/49 (Zugriff: 27.12.2022). Leipzig: Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology.
  • Haspelmath, Martin, Magnus Huber, Philippe Maurer & Susanne Michaelis. 2013. Atlas of Pidgin and Creole Language Structures Online. https://apics-online.info (Zugriff: 27.12.2022). Leipzig: Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology.
  • Lefèbvre, Claire. 2011. Creoles, their substrates and language typology. Amsterdam: Benjamin.
  • Ludwig, Ralph. 2003. Geschichte der Reflexion über die romanischen Sprachen: Kreolsprachen. In Gerhard Ernst, Martin-Dietriich Gleßgen, Ralph Ludwig, Christian Schmitt & Wolfgang Schweickard (Hrsg.), Romanische Sprachgeschichte, 297–309. Berlin/NewYork: De Gruyter.
  • Mutz, Katrin. 2017. Aktuelle Forschungsfragen der Kreolistik. In Peter Stein (Hrsg.), Kreolisch und Französisch, 26–53. Berlin: De Gruyter.
  • Patzelt, Carolin. 2014. Les langues creoles à base française. In Johannes Kramer, Andre Klump & Aline Willems (Hrsg.), Manuel des langues romanes, 677–700. Berlin: De Gruyter.
  • Sylvain, Suzanne. 1979. Le créole haïtien. Morphologie et syntaxe. Genf: Slatkine Reprints.
  • Whinnom, Keith. 1956. Spanish Contact Vernaculars in the Philippine Islands. Hong Kong: Hong Kong University Press.