Difference between revisions of "Auslautverhärtung"

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Auslautverhärtung bezeichnet einen lautlichen Prozess, nach dem Obstruenten, d.h. Frikative, Plosive und Affrikaten, in der Koda (auch Silbenendrand oder Endrand) stimmlos realisiert werden. Die Auslautverhärtung ist kein allgemeines Merkmal phonologischer Systeme. Sie tritt nur in einigen Sprachen bzw. Varietäten auf. Bspw. kommt sie im Niederländischen, Türkischen und im Deutschen vor, jedoch nicht im Spanischen oder Englischen. Auch in einigen südlichen Varietäten des deutschen kommt sie nicht vor.
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Auslautverhärtung bezeichnet einen lautlichen Prozess, nach dem [[Obstruent|Obstruenten]], d.h. [[Frikativ|Frikative]], [[Plosiv|Plosive]] und [[Affrikate|Affrikaten]], in der [[Koda]] (auch Silbenendrand oder Endrand) stimmlos realisiert werden. Die Auslautverhärtung ist kein allgemeines Merkmal phonologischer Systeme. Sie tritt nur in einigen Sprachen bzw. Varietäten auf. Bspw. kommt sie im [[Niederländisch|Niederländischen]], [[Türkisch|Türkischen]] und im [[Deutsch|Deutschen]] vor, jedoch nicht im [[Spanisch|Spanischen]] oder [[Englisch|Englischen]]. Auch in einigen südlichen Varietäten des Deutschen kommt sie nicht vor.
  
Im Onset (Silbenanfang) der Silbe herrscht ein phonologischer Kontrast zwischen stimmhaften und stimmlosen Obstruenten, d.h. Frikativen, Plosiven und Affrikaten, vor, welche die gleiche Artikulationsart und den gleichen Artikulationsort haben, z.B. [g] vs [k], siehe Bsp. (1) – (5).
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Im [[Onset]] (Silbenanfang) der [[Silbe]] herrscht ein [[phonologischer Kontrast]] zwischen [[stimmhaft|stimmhaften]] und [[stimmlos|stimmlosen]] Obstruenten, d.h. Frikativen, Plosiven und Affrikaten, vor, welche die gleiche [[Artikulationsart]] und den gleichen [[Artikulationsort]] haben, z.B. [g] vs [k], siehe Bsp. (1) – (5).
  
 
(1) [b] – [p] in <backen> vs. <packen>: [ˈbak.ən] – [ˈpak.ən]
 
(1) [b] – [p] in <backen> vs. <packen>: [ˈbak.ən] – [ˈpak.ən]
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In der Koda der Silbe wird dieser Kontrast dagegen neutralisiert (→ [[Neutralisierung]]), sodass stimmhafte Obstruenten stimmlos realisiert werden, sie werden also auslautverhärtet (vgl. Hall 2011: 97; Trubetzkoy 1939), siehe Bsp. a in (6) – (10).
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In der Koda der Silbe wird dieser Kontrast dagegen neutralisiert (→ [[Neutralisierung]]), sodass stimmhafte Obstruenten stimmlos realisiert werden, sie werden also auslautverhärtet (vgl. Hall 2011: 97; Trubetzkoy 1939), siehe Bsp. (a) in (6) – (10).
  
 
Phonologische Regel nach Hall (2011)
 
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(10) a. Gas [ˈɡaːs] *['ɡaːz] b. Gases [ˈɡaː.zəs]  
 
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Für Neutralisierungsprozesse ist der phonetisch-phonologische Kontext wichtig. Die Auslautverhärtung erfolgt nur, wenn sich das betroffene Segment (z.B. /g/ in 6a) in der Koda befindet. Wenn sich bspw. durch Flexion die Silbifizierung des Wortes ändert, und sich der betroffene Obstruent im Onset befindet, sie Bsp. b in (6) – (10), erfolgt keine Auslautverhärtung da die Bedingung nicht erfüllt ist.
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Für Neutralisierungsprozesse ist der phonetisch-phonologische Kontext wichtig. Die Auslautverhärtung erfolgt nur, wenn sich das betroffene Segment (z.B. /g/ in 6a) in der Koda befindet. Wenn sich bspw. durch [[Flexion]] die [[Silbifizierung]] des Wortes ändert, und sich der betroffene Obstruent im Onset befindet, sie Bsp. b in (6) – (10), erfolgt keine Auslautverhärtung da die Bedingung nicht erfüllt ist.
  
Da die betroffenen Segmente regelhaft nur in der Koda stimmlos realisiert werden, in anderen Positionen aber stimmhaft bleiben und bedeutungsunterscheidend sind (vgl. 11a vs 12a ), kann man von einer zugrundeliegenden phonologischen Form mit stimmhaftem Obstruenten ausgehen (vgl. 11a & 12a vs. 11B & 12b), die dann durch die phonetische Regel der Auslautverhärtung angepasst wird (vgl. Wiese, 2011: 102–103; Hall, 2011: 54).
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Da die betroffenen Segmente regelhaft nur in der Koda stimmlos realisiert werden, in anderen Positionen aber stimmhaft bleiben und bedeutungsunterscheidend sind (vgl. 11a vs. 12a), kann man von einer zugrundeliegenden phonologischen Form mit stimmhaftem Obstruenten ausgehen (vgl. 11a & 12a vs. 11B & 12b), die dann durch die phonetische Regel der Auslautverhärtung angepasst wird (vgl. Wiese, 2011: 102–103; Hall, 2011: 54).
  
 
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Im Deutschen wird durch die Auslautverhärtung bspw. die Abgrenzung zu zweisilbigen Worten bzw. Wortformen gestärkt (Eisenberg 2006: 127). Auslautverhärtung wird im Deutschen nicht verschriftet, um eine stärkere Graphem-Phonem-Korrespondenz zu gewährleisten (Fuhrhop und Peters 2016: 243 und Eisenberg 2017: 59) ,siehe Bsp. (12).
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Im Deutschen wird durch die Auslautverhärtung bspw. die Abgrenzung zu zweisilbigen Worten bzw. Wortformen gestärkt (Eisenberg 2006: 127). Die Auslautverhärtung wird im Deutschen nicht verschriftet, da die Verschriftung stärker von der Graphem-Phonem-Korrespondenz abhängig ist (Fuhrhop und Peters 2016: 243 und Eisenberg 2017: 59), siehe Bsp. (13).
  
(13) [bʊnt] aber: /bʊnd/ daher: <Bund>
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(13) /bʊnd/ aber [bʊnt], daher <Bund>
  
 
=== Schwierigkeiten der Definition ===
 
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Eisenberg (2006: 127) weist daraufhin, dass in manchen Varietäten des Deutschen das Wort ⟨Sieg⟩ nicht [ziːk] sondern [ziːç] ausgesprochen wird. Dies erklärt er damit, dass vor der Auslautverhärtung eine g-Spirantisierung von [ɡ] zu [ʝ] stattfindet und erst im zweiten Schritt eine Auslautverhärtung von [ʝ] zu [ç] (Bsp (14)).
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Eisenberg (2006: 127) weist daraufhin, dass in manchen Varietäten des Deutschen das Wort ⟨Sieg⟩ nicht [ziːk], sondern [ziːç] ausgesprochen wird. Dies erklärt er damit, dass vor der Auslautverhärtung eine [[g-Spirantisierung]] von [ɡ] zu [ʝ] stattfindet und erst im zweiten Schritt eine Auslautverhärtung von [ʝ] zu [ç] (Bsp. (14)).
  
 
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a. Variation von ⟨Sieg⟩: [ziːk] oder [ziːç]  
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a. Variation von ⟨Sieg⟩: [ziːk] vs. [ziːç]  
  
 
b. /ziːɡ/ → [ziːʝ] →[ziːç]
 
b. /ziːɡ/ → [ziːʝ] →[ziːç]
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Eisenberg, Peter. 2017. Deutsche Orthografie. Berlin/Boston: De Gruyter,  
 
Eisenberg, Peter. 2017. Deutsche Orthografie. Berlin/Boston: De Gruyter,  
  
Fuhrhop, Nanna. 2009. Orthografie. Edited by Jörg Meibauer and Markus Steinbach. Vol. 1 Kurze Einführungen in die germanistische Linguistik. Heidelberg: Winter.
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Fuhrhop, Nanna. 2009. Orthografie. Heidelberg: Winter.
  
 
Wiese, Richard. 2011. Phonetik und Phonologie. Paderborn.
 
Wiese, Richard. 2011. Phonetik und Phonologie. Paderborn.
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Trubetzkoy, Nikolai Sergejewitsch. 1989. Grundzüge der Phonologie. 7. ed. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 1939.
 
Trubetzkoy, Nikolai Sergejewitsch. 1989. Grundzüge der Phonologie. 7. ed. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 1939.
  
Kahlen-Halstenbach, Birthe. 1990. "Zur Psychologischen Realität Der Auslautverhärtung Im Deutschen." Sprachtypologie Und Universalienforschung : STUF 43, no. 1: 645-55.  
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Kahlen-Halstenbach, Birthe. 1990. "Zur Psychologischen Realität Der Auslautverhärtung Im Deutschen." Sprachtypologie Und Universalienforschung: STUF 43, no. 1: 645-55.  
  
 
Mihm, Arend. 2007. "Theorien Der Auslautverhärtung Im Spannungsverhältnis Zwischen Normsetzung Und Sprachwirklichkeit." Deutsche Sprache 35, no. 2: 95. 2007
 
Mihm, Arend. 2007. "Theorien Der Auslautverhärtung Im Spannungsverhältnis Zwischen Normsetzung Und Sprachwirklichkeit." Deutsche Sprache 35, no. 2: 95. 2007

Revision as of 10:21, 16 March 2021

Auslautverhärtung

Synonym: Endrand-Desonorisierung

Definition:

Auslautverhärtung bezeichnet einen lautlichen Prozess, nach dem Obstruenten, d.h. Frikative, Plosive und Affrikaten, in der Koda (auch Silbenendrand oder Endrand) stimmlos realisiert werden. Die Auslautverhärtung ist kein allgemeines Merkmal phonologischer Systeme. Sie tritt nur in einigen Sprachen bzw. Varietäten auf. Bspw. kommt sie im Niederländischen, Türkischen und im Deutschen vor, jedoch nicht im Spanischen oder Englischen. Auch in einigen südlichen Varietäten des Deutschen kommt sie nicht vor.

Im Onset (Silbenanfang) der Silbe herrscht ein phonologischer Kontrast zwischen stimmhaften und stimmlosen Obstruenten, d.h. Frikativen, Plosiven und Affrikaten, vor, welche die gleiche Artikulationsart und den gleichen Artikulationsort haben, z.B. [g] vs [k], siehe Bsp. (1) – (5).

(1) [b] – [p] in <backen> vs. <packen>: [ˈbak.ən] – [ˈpak.ən]

(2) [d] – [t] in <danken> vs. <tanken>: [ˈdaŋ.kən] – [ˈtaŋ.kən]

(3) [ɡ] – [k] in <Garten> vs. <Karten>: [ˈɡaʁ.tən] – [ˈkaʁ.tən]

(4) [v] – [f] in <was> vs. <Fass>: [ˈvas] – [ˈfas]

(5) [z] – [s] in <heiser> vs. <heißer>: [h͡aɪ.zɐ] – [h͡aɪ.sɐ]

In der Koda der Silbe wird dieser Kontrast dagegen neutralisiert (→ Neutralisierung), sodass stimmhafte Obstruenten stimmlos realisiert werden, sie werden also auslautverhärtet (vgl. Hall 2011: 97; Trubetzkoy 1939), siehe Bsp. (a) in (6) – (10).

Phonologische Regel nach Hall (2011)

Auslautverhärtung: /b d ɡ v z ʒ/ → [p t k f s ʃ] / ____ #

(6) a. Tag [ˈtaːk] *['taːɡ] b. Tages [ˈtaː.ɡəs]

(7) a. Lob [ˈloːp] *['loːb] b. Lobes [ˈloː.bəs]

(8) a. Rad [ˈʁaːt] *['ʁaːd] b. Rades [ˈʁaː.dəs]

(9) a. kursiv [ˌkʊʁ.ˈziːf] *[ˌkʊʁ.ˈziːv] b. kursive [ˌkʊʁ.ˈziː.və]

(10) a. Gas [ˈɡaːs] *['ɡaːz] b. Gases [ˈɡaː.zəs]

Für Neutralisierungsprozesse ist der phonetisch-phonologische Kontext wichtig. Die Auslautverhärtung erfolgt nur, wenn sich das betroffene Segment (z.B. /g/ in 6a) in der Koda befindet. Wenn sich bspw. durch Flexion die Silbifizierung des Wortes ändert, und sich der betroffene Obstruent im Onset befindet, sie Bsp. b in (6) – (10), erfolgt keine Auslautverhärtung da die Bedingung nicht erfüllt ist.

Da die betroffenen Segmente regelhaft nur in der Koda stimmlos realisiert werden, in anderen Positionen aber stimmhaft bleiben und bedeutungsunterscheidend sind (vgl. 11a vs. 12a), kann man von einer zugrundeliegenden phonologischen Form mit stimmhaftem Obstruenten ausgehen (vgl. 11a & 12a vs. 11B & 12b), die dann durch die phonetische Regel der Auslautverhärtung angepasst wird (vgl. Wiese, 2011: 102–103; Hall, 2011: 54).

(11)

a. [bʊnt]NOM, ⟨Bund⟩

b. [bʊnt] ⟨bunt⟩

(12)

a. [bʊn.dəs]GEN daher /bʊnd/

b. [bʊn.təs] daher /bʊnt/


Im Deutschen wird durch die Auslautverhärtung bspw. die Abgrenzung zu zweisilbigen Worten bzw. Wortformen gestärkt (Eisenberg 2006: 127). Die Auslautverhärtung wird im Deutschen nicht verschriftet, da die Verschriftung stärker von der Graphem-Phonem-Korrespondenz abhängig ist (Fuhrhop und Peters 2016: 243 und Eisenberg 2017: 59), siehe Bsp. (13).

(13) /bʊnd/ aber [bʊnt], daher <Bund>

Schwierigkeiten der Definition

Eisenberg (2006: 127) weist daraufhin, dass in manchen Varietäten des Deutschen das Wort ⟨Sieg⟩ nicht [ziːk], sondern [ziːç] ausgesprochen wird. Dies erklärt er damit, dass vor der Auslautverhärtung eine g-Spirantisierung von [ɡ] zu [ʝ] stattfindet und erst im zweiten Schritt eine Auslautverhärtung von [ʝ] zu [ç] (Bsp. (14)).

(14)

a. Variation von ⟨Sieg⟩: [ziːk] vs. [ziːç]

b. /ziːɡ/ → [ziːʝ] →[ziːç]

Inwiefern [dʒ] und [ʒ], z.B. in orange vs Orange (Farbe vs. Obst), zum deutschen Konsonanteninventar gehören und wie sie sich in Bezug zur Auslautverhärtung verhalten ist Gegenstand einer Diskussion (siehe dazu Brockhaus, 2012: 9 – 11)

Zur Diskussion darüber, ob im Deutschen wirklich eine vollständige Auslautverhärtung vorliegt sieh exemplarisch Kahlen-Halstenbach (1990) und Mihm (2007)

Literatur

Eisenberg, Peter. 2006. Grundriss Der Deutschen Grammatik Band 1: Das Wort. 3., Durchgesehene Auflage. Stuttgart,

Eisenberg, Peter. 2017. Deutsche Orthografie. Berlin/Boston: De Gruyter,

Fuhrhop, Nanna. 2009. Orthografie. Heidelberg: Winter.

Wiese, Richard. 2011. Phonetik und Phonologie. Paderborn.

Brockhaus, Wiebke. 2012. Final Devoicing in the Phonology of German. Reprint 2012 ed. Linguistische Arbeiten ; 336. Tübingen

Fuhrhop, Nanna, and Peters, Jörg. 2016. Einführung in Die Phonologie Und Graphematik. Stuttgart: J.B. Metzler.

Pompino-Marschall, Bernd. 1995. Einführung in die Phonetik. Berlin: Walter de Gruyter.

Hall, Tracy Alan. 2011. Phonologie: Eine Einführung. de Gruyter Studienbuch. Berlin: Walter de Gruyter,

Trubetzkoy, Nikolai Sergejewitsch. 1989. Grundzüge der Phonologie. 7. ed. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 1939.

Kahlen-Halstenbach, Birthe. 1990. "Zur Psychologischen Realität Der Auslautverhärtung Im Deutschen." Sprachtypologie Und Universalienforschung: STUF 43, no. 1: 645-55.

Mihm, Arend. 2007. "Theorien Der Auslautverhärtung Im Spannungsverhältnis Zwischen Normsetzung Und Sprachwirklichkeit." Deutsche Sprache 35, no. 2: 95. 2007