Auslautverhärtung

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Synonym

Endrand-Desonorisierung

Phonologische Regel

Nach Hall (2011) kann die Auslautverhärtung im Deutschen, wie folgt, als Regel angegeben werden:

/b d ɡ v z ʒ/ → [p t k f s ʃ] / ____ #


Definition

Auslautverhärtung bezeichnet einen lautlichen Prozess, nach dem Obstruenten, d.h. Frikative, Plosive und Affrikaten, in der Koda einer Silbe (auch Silbenendrand oder Endrand) stimmlos realisiert werden. Die Auslautverhärtung ist kein allgemeines Merkmal phonologischer Systeme. Sie tritt nur in einigen Sprachen bzw. Varietäten auf. Bspw. kommt sie im Niederländischen, Türkischen und im Deutschen vor, jedoch nicht im Spanischen oder Englischen. Auch in einigen südlichen Varietäten des Deutschen kommt sie nicht vor.

Im Onset der Silbe (Silbenanfang) herrscht ein phonologischer Kontrast zwischen stimmhaften und stimmlosen Obstruenten (d.h. Frikativen, Plosiven und Affrikaten) vor, welche die gleiche Artikulationsart und den gleichen Artikulationsort haben, z.B. [g] vs [k], siehe Bsp. (1) – (5).

(1) [b] – [p] in <backen> vs. <packen>: [ˈbak.ən] – [ˈpak.ən]

(2) [d] – [t] in <danken> vs. <tanken>: [ˈdaŋ.kən] – [ˈtaŋ.kən]

(3) [ɡ] – [k] in <Garten> vs. <Karten>: [ˈɡaʁ.tən] – [ˈkaʁ.tən]

(4) [v] – [f] in <was> vs. <Fass>: [ˈvas] – [ˈfas]

(5) [z] – [s] in <heiser> vs. <heißer>: [h͡aɪ.zɐ] – [h͡aɪ.sɐ]

In der Koda der Silbe wird dieser Kontrast dagegen neutralisiert (→ Neutralisierung), sodass stimmhafte Obstruenten stimmlos realisiert werden, sie werden also auslautverhärtet (vgl. Hall 2011: 97; Trubetzkoy 1939), siehe Bsp. (a) in (6) – (10).

(6a) Tag [ˈtaːk] *['taːɡ]

(6b) Tages [ˈtaː.ɡəs]

(7a) Lob [ˈloːp] *['loːb]

(7b) Lobes [ˈloː.bəs]

(8a) Rad [ˈʁaːt] *['ʁaːd]

(8b) Rades [ˈʁaː.dəs]

(9a) kursiv [ˌkʊʁ.ˈziːf] *[ˌkʊʁ.ˈziːv]

(9b) kursive [ˌkʊʁ.ˈziː.və]

(10a) Gas [ˈɡaːs] *['ɡaːz]

(10b) Gases [ˈɡaː.zəs]

Für Neutralisierungsprozesse ist der phonetisch-phonologische Kontext wichtig. Die Auslautverhärtung erfolgt nur, wenn sich das betroffene Segment (z.B. /g/ in 6a) in der Koda befindet. Wenn sich bspw. durch Flexion die Silbifizierung des Wortes ändert, und sich der betroffene Obstruent im Onset befindet, siehe Bsp. (b) in (6) – (10), erfolgt keine Auslautverhärtung, da die Bedingung nicht erfüllt ist.

Da die betroffenen Segmente regelhaft nur in der Koda stimmlos realisiert werden, in anderen Positionen aber stimmhaft bleiben und bedeutungsunterscheidend sind (vgl. 11a vs. 12a), kann man von einer zugrundeliegenden phonologischen Form (d.h. Phonem) mit stimmhaftem Obstruenten ausgehen (vgl. 11a & 12a vs. 11B & 12b), die dann durch die phonetische Regel der Auslautverhärtung zu einem stimmlosen Phon verändert wird (vgl. Wiese, 2011: 102–103; Hall, 2011: 54).

(11a) [bʊnt]NOM, ⟨Bund⟩

(11b) [bʊnt], ⟨bunt⟩

(12a) [bʊn.dəs]GEN, daher /bʊnd/ ⟨Bund⟩

(12b) [bʊn.təs], daher /bʊnt/ ⟨bunt⟩


Im Deutschen wird durch die Auslautverhärtung bspw. die Abgrenzung zu zweisilbigen Worten bzw. Wortformen gestärkt (Eisenberg 2006: 127). Die Auslautverhärtung wird im Deutschen nicht verschriftet, da die Verschriftung stärker von der Graphem-Phonem-Korrespondenz abhängig ist (vgl. Fuhrhop und Peters 2016: 243; Eisenberg 2017: 59), siehe Bsp. (13).

(13) /bʊnd/ aber [bʊnt], daher <Bund>


Schwierigkeiten der Definition

Eisenberg (2006: 127) weist daraufhin, dass in manchen Varietäten des Deutschen das Wort ⟨Sieg⟩ nicht [ziːk], sondern [ziːç] ausgesprochen wird. Dies erklärt er damit, dass vor der Auslautverhärtung eine g-Spirantisierung von [ɡ] zu [ʝ] stattfindet und erst im zweiten Schritt eine Auslautverhärtung von [ʝ] zu [ç] (Bsp. (14)).

(14a) Variation von ⟨Sieg⟩: [ziːk] vs. [ziːç]

(14b) /ziːɡ/ → [ziːʝ] →[ziːç]


Inwiefern [dʒ] und [ʒ], z.B. in orange vs Orange (Farbe vs. Obst), zum deutschen Konsonanteninventar gehören und wie sie sich in Bezug zur Auslautverhärtung verhalten ist Gegenstand einer Diskussion (siehe dazu Brockhaus, 2012: 9 – 11). Allerdings lassen sich Beispiele finden, bei denen diese Fremdphoneme auch auslautverhärtet werden, bspw. bei dem Kontrast zwischen Orange (Obst) (15a) und orange (Farbe) (15b), bei denen das zugrundeliegende Phonem /ʒ/ in (15b) stimmlos realisiert wird.

(15a) ⟨Orange⟩ (Obst): [ʔo.ˈʁaŋ.ʒə]

(15b) ⟨orange⟩ (Farbe): [ʔo.ˈʁaŋʃ]

Zur Diskussion darüber, ob im Deutschen wirklich eine vollständige Auslautverhärtung vorliegt, siehe exemplarisch Kahlen-Halstenbach (1990) und Mihm (2007).

Literatur

  • Eisenberg, Peter. 2006. Grundriss der deutschen Grammatik Band 1: Das Wort. 3., durchgesehene Auflage. Stuttgart: Metzler.
  • Eisenberg, Peter. 2017. Deutsche Orthografie. Berlin: De Gruyter,
  • Fuhrhop, Nanna. 2009. Orthografie. Heidelberg: Winter.
  • Wiese, Richard. 2011. Phonetik und Phonologie. Paderborn: Wilhelm Fink.
  • Brockhaus, Wiebke. 2012. Final Devoicing in the Phonology of German Reprint 2012 ed. (Linguistische Arbeiten 336). Berlin: De Gruyter.
  • Fuhrhop, Nanna & Peters, Jörg. 2016. Einführung in die Phonologie und Graphematik. Stuttgart: J.B. Metzler.
  • Pompino-Marschall, Bernd. 1995. Einführung in die Phonetik. Berlin: Walter de Gruyter.
  • Hall, Tracy Alan. 2011. Phonologie: Eine Einführung. Berlin: Walter de Gruyter.
  • Trubetzkoy, Nikolai Sergejewitsch. 1989. Grundzüge der Phonologie 7. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. [1. Aufl. 1939].
  • Kahlen-Halstenbach, Birthe. 1990. Zur Psychologischen Realität Der Auslautverhärtung Im Deutschen. Sprachtypologie und Universalienforschung (STUF) 43(1): 645-55.
  • Mihm, Arend. 2007. Theorien der Auslautverhärtung im Spannungsverhältnis zwischen Normsetzung und Sprachwirklichkeit. Deutsche Sprache 35(2): 95-118.