Diversifikation

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Begriff

Mit dem Begriff Diversifikation wird im Allgemeinen ein Prozess der Veränderung bezeichnet, die das bereits Vorhandene erweitert. Diversifikationsprozesse kennt man unter anderen aus dem Bereich der Biologie: Unterschiedliche Arten würden nicht vorkommen, gäbe es keine Diversifikation. In verschiedenen Bereichen der Linguistik sind solche Prozesse ebenfalls zu beobachten. So kann sich beispielsweise die Anzahl der Bedeutungen eines Wortes im Laufe der Zeit erhöhen. Die Erweiterung eines Repertoires an Allomorphen, welche die Bedeutung eines Morphems in konkreten Wörtern repräsentieren, ist ein weiteres Beispiel. Diversifikationsprozesse treten in der Linguistik in verschiedenen Bereichen auf. Wie die oben genannten Beispiele zeigen, haben sie unter anderem Auswirkungen im Bereich der Semantik, der Phonetik, der Morphologie, der grammatischen Klassen und auch der Dialektik.

Ursprung

Diversifikation hat verschiedene Ursachen:

  1. Zufällige Fluktuation: Tritt vor allem bei der Äußerung von Lauten auf; durch die Zufälligkeit in der Äußerung ist es unmöglich, den exakten Klang zu wiederholen. Eine zufällige Abweichung ist also immer vorhanden. Der zufälligen Fluktuation wird ständig durch den Unifikationsprozess entgegen gewirkt, sodass ein ständiges Auf-und-Ab im Diversifikationsprozess besteht. Fehlerhafte Aussprache trägt beispielsweise immer zur zufälligen Fluktuation bei.
  2. Umfeldbedingte Variation: Die Bedeutung einer Einheit wird durch ihr Umfeld bestimmt. Die Wörter, die den Kontext eines bestimmen Wortes in einem Satz bilden, haben Einfluss auf die Bedeutung des entsprechenden Wortes. Ein wechselnder Kontext beeinflusst somit auch die Bedeutung des einzelnen Wortes.
  3. Bewusste Veränderung: Unter bestimmten Bedingungen kann die Bedeutung eines Wortes bewusst verändert werden. Durch den Stil eines Textes oder kreative Neuschöpfungen kann eine Veränderung mehr oder weniger bewusst hervorgerufen werden. Das Gleiche gilt für Wörter aus anderen Sprachen, zu deren Bedeutung bereits native Wörter existieren.
  4. Eigene Steuerung des Prozesses: Die Sprache kann sich in bestimmten Fällen selbst durch ihren Gebrauch anpassen. Beispiel hierzu wären Assimilationseffekte, wobei ein Segment ein oder mehrere Merkmale eines Nachbarsegments übernimmt. Derartige Effekte werden vor allem durch eine diachrone Betrachtung einer Sprache deutlich.
  5. Anpassungen des Systems an äußere Umstände: Da Sprache durch den Menschen erzeugt wird, unterliegt sie einer ständigen Anpassung an neue Voraussetzungen, um neue Erfahrungen kommunizieren zu können. Durch Veränderungen der Lebenssituation von Sprechern einer Sprachgemeinschaft verändern sich auch die Anforderungen an die Sprache, die sie benutzen. Neue Eindrücke und Erfahrungen müssen kommuniziert werden und neue Dinge benannt werden, um von bereits bekannten Dingen abgegrenzt werden zu können. Eine Veränderung tritt entweder dauerhaft oder ad-hoc auf. Letzteres ist beispielsweise der Fall, wenn ein Autor eine Eigenheit in einem Text äußern will. Kontinuierliche Anpassungsprozesse unterliegen folgenden Voraussetzungen, die aus der synergetischen Linguistik bekannt sind:
    • Trend des minimalen Aufwands zur Kodierung und Dekodierung: Der Sprecher möchte den Kodierungsauwand so gering wie möglich halten. Aus diesem Grund tendiert er dazu, die Anzahl und Komplexität der Sprachlaute so niedrig wie möglich zu halten. Der Zuhörer strebt genau das Gegenteil an, um den Dekodierungsaufwand so gering wie möglich zu halten.
    • Ausreichende Redundanz: Um dem Zuhörer den Dekodierungsprozess zu ermöglichen und um dem natürlichen Rauschen entgegenzuwirken, müssen verschiedene Details eines Satzes mehrfach ausgedrückt werden - es muss Redundanz geschafften werden. Diese Erfordernis arbeitet gegen das Verlangen, den Produktionsaufwand gering zu halten. Um einen geringen Kodierungsaufwand zu erhalten, werden lange Wörter gekürzt oder komplexe Laute vereinfacht.
    • Kodierungsanforderungen: Um neue Erfahrungen mitteilen zu können, werden neue Wörter benötigt. Dies verlangt allerdings nach einem größeren Inventar und somit mehr Speicher. Der Sprecher hat das Verlangen, das Inventar minimal zu halten, um wenig Speicher zu gebrauchen.
    • Kontextökonomie vs. Kontextspezifik: Erhöht beziehungsweise erniedrigt die Anzahl an Kontexten, in denen ein Wort vorkommen kann.
    • Beständigkeit vs. Flexibilität der Relation zwischen Bedeutung und Äußerung: Erhöht beziehungsweise erniedrigt die Anzahl an Synonymen.

Welcher Effekt für welche Veränderung verantwortlich ist, ist oftmals nicht eindeutig. Tatsächlich sind häufig mehrere Faktoren an einem Diversifikationsprozess beteiligt. Jedem Diversifikationsprozess wirkt ein Unifizierungsprozess entgegen, der die ursprüngliche Bedeutung zu sichern versucht. Der Effekt der Diversifikation lässt sich in der Linguistik gut beobachten. In der Lexik vergrößert sie das Inventar und sorgt damit für eine Erniedrigung der Polysemie und so für eine Erhöhung der Anzahl von Synonymen einzelner Wörter.

Modellierung

Zur Modellierung des Diversifikationsprozesses kann eine einfache Gleichung genutzt werden, die jedoch an verschiedene Anforderungen angepasst werden muss. Geht man davon aus, dass zu Beginn eines Diversifikationsprozesses eine Klasse P1 mit der Wahrscheinlichkeit 1 auftritt, und aus dieser eine zweite Klasse P2 hervorgeht, entwickelt diese sich proportional zur ersten.

<math>P_{2} = a * P_{1}</math>

beschreibt also die Wahrscheinlichkeit, dass eine neue Klasse auftritt, die aus der ersten Klasse hervorgeht. Dass diese Wahrscheinlichkeit konstant ist, ist selten der Fall. Vielmehr wird der Parameter a durch oben genannte Phänomene beeinflusst. Der Parameter ist also eher als eine Funktion dieser Phänomene zu verstehen und muss entsprechend dargestellt werden.

<math>P_[2] = f(x) * P_{1}</math>

wobei gilt:

<math>f(x) = \frac{g(x)}{h(x)}</math>

g(x) beschreibt hierbei das Inventar des Senders, h(x) das des Empfängers. Diese Vorraussetzung hindert den Sprecher daran, zu stark vom Ursprung abzuweichen, um verständlich zu bleiben. Insgesamt ergibt sich also bis jetzt

<math>P_{2} = f(x) * P_{1}</math>, oder generell:

<math>P_{x} = f(x) * P_{x - 1}</math>.

Diese abstrakte Form muss für die verschiedenen Phänomene in einer Sprache angepasst werden. Eine weitere Form zeigt die Veränderung der Häufigkeiten in einer Sprache. Eine Klasse tauscht ihren Rang mit einer anderen Klasse, indem sie ihre Häufigkeiten beeinflussen. So bewegt sich beispielsweise ein Teil der Frequenz der Klasse x = c zu Klasse c = x – 1, und es ergibt sich

<math>P_{c - 1, neu} = P_{c - 1, alt} + \alpha</math>

<math>P_{c, neu} = P_{c - 1, alt} - \alpha</math>

, wobei <math>0 < \alpha < 1</math>, sodass <math>0 < P_{neu} < 1 </math>. Betrachtet man nun, dass beim Auftreten neuer Klassen die alten Klassen seltener auftauchen, ergibt sich eine weitere Anpassung, sodass gilt

<math>P_{x} ~ f(P_{x + 1}, P_{x + 2}, ...)</math>

Dies lässt sich gut an der Phonemverteilung erkennen: je mehr Phoneme im Inventar zur Verfügung stehen, desto flacher ist die Rang-Frequenz-Verteilung dieser.

Quellen

  • Gabriel Altmann: Diversification processes. In: Reinhard Köhler, Gabriel Altmann & Rajmund G. Piotrowski (Hrsg.): Quantitative Linguistik – Quantitative Linguistics. Ein internationales Handbuch. de Gruyter, Berlin/ New York 2005, S. 646-658.
  • Ursula Rothe: Diversification Processes in Grammar. An Introduction. In: Ursula Rothe (Hrsg.), Diversification Processes in Language: Grammar. Margit Rottmann Medienverlag, Hagen 1991, S. 3-32.
  • Gabriel Altmann: Semantische Diversifikation. In: Folia Linguistica XIX, 1985, 177-200; Gabriel Altmann: Modelling diversification phenomena in language. In: Rothe, Ursula (Hrsg.), Diversification Processes in Language: Grammar. Margit Rottmann Medienverlag, Hagen 1991, S. 33-46
  • Caroline Féry: Einführung in die Phonologie. Skript. Goethe Universität Frankfurt, 2012. [1]

Links