Konjunktiv
Konjunktiv bezeichnet eine Kategorie des Modus des Verbs, die in vielen Sprachen über ein entwickeltes morphologisches (Verb-) Paradigma verfügt.
Kommentare
Die semantische Leistung des Konjunktivs besteht in einem komplexen, einzelsprachlichspezifischen Zusammenspiel mit anderen verbmorphologischen Kategorien und grammatischen Mitteln insbesondere darin, die Nicht-Faktizität eines Sachverhaltes in der aktuellen Welt zu signalisieren, d. h. den Umstand, dass der durch den betreffenden Satz ausgedrückte Sachverhalt in der aktuellen Welt nicht wahr und in einer alternativen Wirklichkeit möglich ist (vgl. Modalität, Faktiv, Irrealis, Konditional(is)).
Ein ähnliches Bild ergibt sich für den Subjunktiv in romanischen Sprachen, dessen semantischer Beitrag zur Satzbedeutung dahingehend zusammengefasst werden kann, dass er Sachverhalte unter dem Aspekt ihres möglichen Eintretens perspektiviert (vgl. z. B. Guillaume (1929), Hummel (2001) zum Spanischen).
Konjunktiv-Formen haben dementsprechend wesentlich Anteil an der systematischen Bildung komplexer syntaktischer Muster und Satzmodi, welche in semantisch-pragmatischer Hinsicht Nicht-Faktizität involvieren, wie z. B. von
Konditionalen (z. B. An Evas Stelle wäre ich ihm treu geblieben. ),
irrealen Konsekutivsätzen (z. B. Eva ist zu jung, als dass sie treu bliebe.),
Vergleichssätzen (z. B. Eva tut so, als sei/wäre sie treu.),
Optativen (z. B. Wäre Eva doch treu geblieben!),
Heischeformen (z. B. Sie sei jetzt mal ganz ruhig!),
Adhortativen (z. B. Seien wir froh!) und
signalisieren ferner Evidentialität (Evidentiell, Quotativ, Narrativ), die Distanzierung des Sprechers von behauptender Stellungnahme (vgl. z. B. Eva behauptet, dass sie treu sei. vs. ??Ich behaupte, dass sie treu sei.) sowie insbesondere
indirekte Rede (z. B. Sie sagt, sie sei treu.).
In der neueren Literatur zum Konjunktiv bzw. Subjunktiv wird v. a. diskutiert, wie das betreffende Paradigma im Verhältnis zum Indikativ-Paradigma und zu Tempus-Markierungen organisiert ist (zum Deutschen z. B. Lohnstein & Bredel (2001), Gallmann (2004)) und welche Grundbedeutungen den verschiedenen Konjunktiv-/Subjunktiv-Distributionen zukommen. Während die Tempus-Markierung bei Indikativ-Formen eine zeitliche Einordnung der Satzbedeutung in Bezug auf den Sprechzeitpunkt kodiert, ist dies bei Konjunktiv-Formen (im Deutschen) und Subjunktiv-Formen (in romanischen Sprachen) nicht in gleicher Weise der Fall (vgl. z. B. Er glaubt, dass sie kommt/kam/komme/käme/kommen würde.), weshalb für das Deutsche zunehmend die Bezeichnung Konjunktiv I (für Konjunktiv Präsens, Konjunktiv Perfekt, Konjunktiv Futur) und Konjunktiv II (für Konjunktiv Präteritum, Konjunktiv Plusquamperfekt) und gelegentlich Konjunktiv III für periphrastische Formen (würde-Formen bzw. dialektal vorkommende tät(e)/tat-Formen, z. B. wenn er kommen würde/täte.) präferiert werden.
Konjunktiv I und Konjunktiv II unterscheiden sich hinsichtlich ihrer syntaktischen Distribution, je nach ihren syntaktischen und semantischen Kontexten in ihrem Beitrag zur Satz- und Äußerungsbedeutung und in der Signalisierung der Bezugnahme auf unterschiedliche Redehintergründe (vgl. Lohnstein & Bredel (2001)); beispielsweise können in Konditionalsätzen wie Wenn er nett zu ihr ist/wäre/*sei, ist/wäre/*sei sie ihm treu. zwar indikativische und Konjunktiv II-Formen auftreten, aber keine Konjunktiv I-Formen. Hauptsätze mit einer Konjunktiv II-Form wie Eva wäre glücklich., Wäre Eva glücklich! sind wahrheitswertfähig (sie sind wahr/falsch in einer zur aktuellen Welt alternativen Welt), während Hauptsätze mit einer Konjunktiv I-Form nicht wahrheitsfähig sind, im Gegensatz zu Sätzen mit einer Konjunktiv II-Form jedoch neue Fakten in die aktuelle Welt einführen können, z. B. Eva sei ab sofort meine Haushälterin.
Synonyme
Ursprung
Spätlatein modus coniunctivus 'verbindender Modus'
Siehe auch
Link
Konjunktiv in Norbert Fries, Online Lexikon Linguistik
Literatur
- A. Ahern & M. Leonetti, The Spanish Subjunctive: Procedural Semantics and Pragmatic Inference. In: M. Reiter et al. (Hg.), Current Trends in the Pragmatics of Spanish. Amsterdam 2004, 35–56.
- J. v. d. Auwera & E. Schalley, From Optative and Subjunctive to Irrealis. In: F. Brisard et al. (Hg.), Seduction, Community, Speech. Antwerpen 2004, 87–96.
- M. Becher, Der Konjunktiv der indirekten Redewiedergabe. Eine linguistische Analyse der Skizze eines Verunglückten von Uwe Johnson. Hildesheim 1989.
- P. Eisenberg, Konjunktiv als Flexionskategorie. Linguistische Germanistik 1997/136, 37–56.
- G. Engström-Persson, Zum Konjunktiv im Deutschen um 1800. Uppsala 1979.
- C. Fabricius-Hansen, Moody Time: Indikativ und Konjunktiv im deutschen Tempussystem. LiLi 1999/113, 119–146.
- – Dies., Die Geheimnisse der deutschen würde-Konstruktion. In: R. Thieroff (Hg.), Grammatik in Theorie und Praxis. Tübingen 2000, 83–96.
- – Dies. et al.(Hg.), Modus, Modalverben, Modalpartikeln. Trier 2002.
- – Dies. & K. J. Sæbø, In a Mediative Mood: The Semantics of the German Reportive Subjunctive. Natural Language Semantics 2004/12(3), 213–257.
- P. Gallmann, Verbflexion und morphosyntaktischer Wandel. Ms. Univ. Jena 2004.
- N. Gräfin von Harrach, Der Konjunktiv in Hörfunknachrichten. Diss. Passau 2002.
- G. Guillaume, Temps et Verbe. Théorie des Aspects, des Modes et des Temps. Paris 1929; 1965.
- M. Hummel, Der Grundwert des spanischen Subjunktivs. Tübingen 2001.
- S. Jäger, Empfehlungen zum Gebrauch des Konjunktivs. Düsseldorf 1979.
- F. James, Semantics of the English Subjunctive. Vancouver 1986.
- M. Jary, Mood in Relevance Theory: A Re-analysis Focusing on the Spanish Subjunctive. UCLWPL 2002/157– 188.
- W. Kasper, Semantik des Konjunktiv II in Deklarativsätzen des Deustchen. Tübingen 1987.
- G. Knauer, Der Subjuntivo im Spanischen Mexikos. Tübingen 1998.
- O. Leirbukt (Hg.), Tempus/Temporalität und Modus/Modalität im Sprachenvergleich. Tübingen 2004.
- E. Leiss, Die Verbalkategorien des Deustchen. Berlin 1992.
- A. Lötscher, Der Konjunktiv II bei Modalverben und die Semantik des Konjunktiv II. Sprachw. 1991/16, 334-364.
- H. Lohnstein & U. Bredel, Zur Ableitung von Tempus und Modus in der deutschen Verbflexion. ZS 2001/20.2, 218–250.
- E. Morgenthaler, Zur Problematik des Konjunktiv in seiner Rolle bei der Redeerwähnung. DS 1998/26, 348–368.
- M. Müller-Wetzel, Der lateinische Konjunktiv. Seine Einheit als deiktische Kategorie: Eine Erklärung der modalen Systeme der klassischen Zeit. Hildesheim 2001.
- D. Prinz, Sprachwissenschaftlicher Vergleich des Tempus- und Modussystems im Italienischen, Französischen und Deutschen vorgeführt an Beispielen aus dem Roman La cittá e la casa von Natalia Ginzburg. 1991.
- R. Schrodt, System und Norm in der Diachronie des deutschen Konjunktiv: Der Modus in althochdeutschen und neuhochdeutschen Inhaltssätzen. Tübingen 1983.
- R. Thieroff, Das finite Verb im Deutschen. Modus – Tempus – Distanz. Tübingen 1992.
- R. Tretzel, Glauben heißt nicht immer wissen. Der Konjunktiv in abhängigen Subjekt- und Objektsätzen. Frankfurt 1993.
- H. Vater (Hg.), Zu Tempus und Modus im Dt. Trier 1997.
- E. Weider, Konjunktiv und indirekte Rede. Göppingen 1992.
- H. Weydt, Der Konjunktiv – semantisch und übereinzelsprachlich betrachtet. In: S. Beckmann et al. (Hg.), Sprachspiel und Bedeutung. Fs. für Franz Hundsnurscher zum 65. Geburtstag. Tübingen 2000, 227–240.
Andere Sprachen
Chinesisch 虚拟式
Englisch subjunctive mood
Französisch subjonctif