Wiederaufnahme
Wiederaufnahme ist eine Bezeichnung für die Herstellung von Beziehungen zwischen Wörtern und Wortgruppen auf der Textoberfläche. Sie ist Mittel der Verknüpfung von Sätzen zu Texten.
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In einem Text beziehen sich Wörter und Wortgruppen in unterschiedlicher Weise satzgrenzenüberschreitend aufeinander. Mit dem Begriff Wiederaufnahme wird der Rückgriff auf im Text bereits Erwähntes bezeichnet.
Unter semantischem Aspekt unterscheidet Brinker
- die textimmanente Wiederaufnahme, bei der die Beziehungen zwischen den Ausdrücken nicht durch das Sprachsystem bedingt sind, sondern im Text hergestellt werden,
- die sprachimmanent (durch das Sprachsystem) bedingte Wiederaufnahme (z. B. bei Synonymie, Supernymie, Hyponymie),
- die sprachtranszendent bedingte (auf geteiltem Wissen beruhende) Wiederaufnahme (Brinker 1992: 39 f).
Brinker, der die Wiederaufnahme als grammatische Bedingung der Textkohärenz auffasst (26), unterscheidet unter dem Aspekt der Referenzidentität die explizite und die implizite Wiederaufnahme (26 ff):
- Die explizite Wiederaufnahme besteht in der Referenzidentität (Beziehungsgleichheit) bestimmter sprachlicher Ausdrücke in aufeinanderfolgenden Sätzen eines Textes. Ein bestimmter Ausdruck (z. B. ein Wort oder eine Wortgruppe) wird durch einen oder mehrere Ausdrücke in den nachfolgenden Sätzen des Textes in Referenzidentität wiederaufgenommen.
Nach Brinker erfolgt die explizite Wiederaufnahme am häufigsten durch Substantive und Pronomen, ist jedoch auch durch Wörter anderer Wortarten möglich, z. B. durch Adverbien, Adjektive, Verben.
- Im Gegensatz zur expliziten Wiederaufnahme ist die implizite Wiederaufnahme dadurch charakterisiert, dass zwischen dem wiederaufnehmenden Ausdruck (in der Regel ein Substantiv oder eine substantivische Wortgruppe) und dem wiederaufgenommenen Ausdruck (dem Bezugsausdruck) keine Referenzidentität besteht. Beide Ausdrücke beziehen sich auf verschiedene Referenzträger, d. h., es wird von verschiedenen Gegenständen und dergleichen gesprochen; zwischen diesen bestehen aber bestimmte Beziehungen, von denen die Teil-von- oder Enthaltenseinsrelation die wichtigste ist (Brinker 1992: 34).
Die Bedeutungsbeziehungen zwischen den durch Wiederaufnahme aufeinander bezogenen Wörtern oder Wortgruppen bezeichnet Brinker (unter Bezugnahme auf Harweg 1968: 192 ff) als semantische Kontiguität, die ontologisch, logisch oder kulturell begründet sein kann (35). (In der Kognitiven Linguistik wird dieses Phänomen inzwischen als indirekte Anapher bezeichnet; vgl. Schwarz 2000).
Brinker schränkt die Bedeutung der Wiederaufnahme für Prozesse des Textverstehens ein: die grammatische Verknüpfungsstruktur fungiere als Trägerstruktur für die thematischen Zusammenhänge des Textes(Brinker 1992: 40 f).
Subtypen und Beispiele
Wiederaufnahme mit Beispielen (im Überblick):
- explizite Wiederaufnahme (auf Referenzidentität beruhend)
1. durch Proformen (Pronomen, Proverben, Proadjektive) 2. durch Repetition (Wiederholung des Lexems) o auch bei Wortartwechsel, z. B. Glück - glücklich, o in flektierten Wörtern, z. B. schlagen - schlug, o bei Aufgliederung von Komposita, z. B. Augenklinik - Klinik, 3. durch variierte (referenzidentische) Wiederaufnahme, o Synonyme, o Paraphrasierung, o Hyperonyme, z. B. Auto - Fahrzeug, o Hyponyme, z. B. Person - Studentin,
- implizite Wiederaufnahme
1. durch logisch begründbare Kontiguität, z. B. Anfang - Ende, 2. durch ontologisch begründbare Kontiguität, z. B. Nacht- Dunkelheit, 3. durch kulturell begründbare Kontiguität, z. B. Klassik - Weimar,
- strukturelle Wiederaufnahme
1. Ellipsen, 2. Parallelismus (Wiederaufnahme der Satzstruktur mit lexikalischen Varianten), 3. Wiederaufnahme von Teilstrukturen eines Textes, z. B. durch Strophen (mit und ohne Refrain).
Siehe auch
Kontiguität, Textphorik, Kohäsion, syntagmatische Substitution, Proform, indirekte Anapher, thematische Entfaltung, Parallelismus, Textkomposition
Link
Eva Schoenke, Textlinguistik-Glossar
Literatur
- Brinker, Klaus. 1992. Textlinguistik. Heidelberg: Groos.
- Harweg, Roland. 1968. Die Rundfunknachrichten. Versuch einer texttypologischen Einordnung. Poetica 2, 1-14.
- Schwarz, Monika. 2000a. Indirekte Anaphern in Texten. Studien zur domänengebundenen Referenz und Kohärenz im Deutschen (= Linguistische Arbeiten 413). Tübingen: Niemeyer.