Face-Threatening Act

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Ein Face-Threatening Act (FTA) beschreibt eine sprachliche und nicht-sprachliche Handlung, die gegen das gewünschte öffentliche Selbstbild (face) eines Individuums gerichtet ist. Die potenzielle Bedrohung einer Handlung für das eigene face ist situations- sowie personenabhängig.

Begriffsursprung

Die ursprüngliche Definition des Face-Threatening Acts geht zurück auf den amerikanischen Soziologen Erving Goffman und wurde von den Sprachwissenschaftlern Penelope Brown und Stephen Levinson weiter ausdifferenziert. Face-Threatening Acts sind Handlungen, die gegen die Face-Bedürfnisse von Sender und Empfänger in einer Interaktion arbeiten. Laut Levinson und Brown kann die Intensität eines Face-Threatening Acts dabei in Abhängigkeit verschiedener Faktoren ermittelt werden. Dafür haben sie folgende Formel aufgestellt:

  • Wx = D(S,H) + P(H,S) + Rx

W beschreibt die Gesamtgewichtung und somit die potenzielle Bedrohung durch ein face-threatening act (x). D meint die soziale Distanz vom Sender (S) einer nonverbalen oder verbalen Handlung zum Hörer (H). P impliziert das hierarchische Machtverhältnis vom Hörer (H) gegenüber dem Sender (S) einer Handlung. R beschreibt die situative Gesamtrelation und somit den Kontext, in welchem ein potenzieller FTA auftritt. Demnach muss beispielsweise eine bestimmte sprachliche Handlung gegenüber einer hierarchisch höher gestellten Person anders bewertet werden als gegenüber einer hierarchisch niedriger gestellten oder nahestehenden Person. Gleiches gilt für den situativen Kontext:

  • (1) "Mach mal das Fenster zu."

Die Aussage in Beispiel (1) stellt demnach eher ein face-threatening act da, wenn ein Student dies gegenüber seinem Professor äußert, als wenn eine Mutter dies ihrem Kind befiehlt. Besteht hingegen ein kollegiales Verhältnis zwischen Professor und Student und befinden sich beide in einem situativ ungezwungenem Kontext außerhalb des Seminarraums, erhält auch diese Aussage trotz hierarchischer Strukturen eine andere Gewichtung.Face-threatening acts können sich sowohl gegen die grundlegenden Persönlichkeitsrechte (negative face) als auch gegen die gewünschte Wertschätzung (positive face) eines Individuums richten. (siehe auch Positive und Negative Face)

Negative FTAs

Als negative FTAs werden diejenigen Handlungen definiert, die sich gegen die persönliche Handlungsfreiheit und Persönlichkeitsrechte (negative face) eines Individuums richten und diese infrage stellen. Dabei wird zwischen Handlungen unterschieden, die sich gegen das negative face des Empfängers und denen, die sich gegen das negative face des Senders richten.

Auf der Empfängerseite bedrohen face-threatening acts die Handlungsfreiheit durch die verbalen und nonverbalen Handlungen, die der Sender an entsprechenden Adressaten richtet:

  • Zukunftsdiktierende Handlungen wie Aufforderungen, Ratschläge, Warnungen, Drohungen, Anweisungen veranlassen gegebenenfalls den Empfänger etwas zu unterlassen oder drohen mit Konsquenzen.
  • Zukunftsverheißende Handlungen wie Versprechungen oder Angebote üben unter Umständen einen gewissen Handlungsdruck auf den Empfänger aus ausüben, diese zu erwidern oder ihnen gerecht zu werden.
  • Andeutungen bestimmter Haltungen oder Gefühle wie Komplimente oder Ärger bzw. Hass können emotionalen Druck auf den Empfänger ausüben.

Auf der Senderseite bedrohen FTAs die Handlungsfreiheit durch verbale und nonverbale Handlungen, die der Sender an einen Adressaten richtet. Durch diese Handlungen kann sich der Sender auf unterschiedliche Weise gegenüber dem Adressaten verpflichten oder degradieren:

  • Durch den Ausdruck des Danks kann sich der Sender bescheiden machen und sich selbst auferlegen, etwas an den Empfänger zurückgeben zu müssen.
  • Durch Ausreden kann der Sender auf das eigene Fehlverhalten aufmerksam machen.
  • Durch die Annahme von Angeboten riskiert der Sender einen Einschnitt in Handlungsfreiheit riskieren, indem eine Gegenleistung seitens des Adressaten erwartet werden kann.
  • Nicht gewollte Versprechen und Angebote können ungewollte Verpflichtungen gegenüber dem Empfänger bewirken.

Positive FTAs

Positive FTAs bezeichnen verbale und nonverbale Handlungen, die ein Desinteresse an der Persönlichkeit und den Gefühlen des Anderen signalisieren und somit dessen gewünschte persönliche Wertschätzung entgegenwirken. Positive FTAs auf der Empfängerseite können die mangelnde Wertschätzung und das Desinteresse eines Senders gegenüber dem Empfänger ausdrücken:

  • Durch negative Evaluation wie Abschätzigkeit und Kritik oder Widerspruch seitens des Senders gegenüber Themen und Handlungen des Empfängers kann sich der Empfänger unverstanden fühlen.
  • Durch Handlungen, die Gleichgültigkeit gegenüber dem Face des Anderen signalisieren wie gewalttätige Gefühlsausbrüche, Ansprechen von Tabuthemen oder gefährlichen Themen, mangelnde Kooperationsbereitschaft in Kommunikation (z.B. durch ständiges Unterbrechen) oder erniedrigende Anredeformen kann Desinteresse an oder Respektlosigkeit gegenüber der Person des Empfängers ausgedrückt werden.

Positive FTAs auf der Senderseite können die mangelnde Wertschätzung und das Desinteresse an der Persönlichkeit des Empfänger ausdrücken:

  • Durch Entschuldigungen wird das eigene Fehlverhalten eingestanden. Dies trifft auch bei unaufrichtigen Entschuldigungen zu.
  • Angenommene Komplimente können einen gewissen Druck aufbauen, diesen zukünftig gerecht zu werden.
  • Der Kontrollverlust über den eigenen Körper, beispielsweise durch Ohnmacht, Zucken oder Zittern, kann das gewünschte Bild der eigenen Persönlichkeit beeinträchtigen.
  • Widersprüchliches Verhalten und Selbsterniedrigung innerhalb der sozialen Gemeinschaft wirken dem gewohnten Bild zu eigenen Person entgegen.
  • Emotionaler Kontrollverlust wie Lachanfällte oder das Ausbrechen in Tränen können als mangelnde Selbstbeherrschung gewertet werden.
  • Aufrichtige Schuldeingeständnisse implizieren das eigene Fehlverhalten in der Vergangenheit.

Vermeidung von FTAs

Um FTAs gegen das Positive und Negative Face zu vermeiden, definieren Levinson und Brown bestimmte Strategien für sprachliches Handeln. Sprachliche Höflichkeit wird dabei als universelles Werkzeug für Face-Erhalt in sozialer Interaktion gewertet. Dabei bedienen sich die Interagierenden universeller, abstrakter Prinzipien für höflichen Sprachgebrauch als Kommunikationsstrategien je nach Evaluation der Situation. Zu diesen Strategien gehören neben positive-face fördernde Komplimenten vor allem kommunikative Mittel der Indirektheit.

FTA und Direktheit

Levinson und Brown unterscheiden drei Stufen der sprachlichen Indirektheit. Diese können je nach Situation als face-threatening act gewertet werden oder aber dabei helfen, einen face threatening act zu vermeiden. Als bald on-record werden sehr direkte Äußerungen bezeichnet, die meistens aus mangelnden Zeitgründen und/ oder bei einer entsprechenden Basis zwischen Sender und Empfänger getätigt werden. Ein Beispiel ist der simple Hilferuf in einer Notsituation. Als on-record werden Äußerungen zusammengefasst, welche von dem Sender in verbal direkter Weise an den Adressaten gerichtet werden. Die Äußerungen sind laut Levinson und Brown aufgrund der impliziten mangelnden Höflichkeit meist mit einem FTA verbunden. Dem gegenüber stehen Aussagen, die indirekter und nicht-offenkundiger Natur und somit nach Levinson und Brown off-record sind. Off-record Aussagen können auf mehrere Arten interpretiert werden und so als Vermeidungsstrategie für FTAs angewandt werden. Ein Beispiel für off-record Aussagen ist die konventionalisierte Indirektheit, unter anderem durch bestimmte syntaktisch als Frage zu typisierende sprachliche Handlungen, die aufgrund des konventionalisierten Verständnisses dennoch als Aufforderung verstanden werden.

  • (2) "Gib mir das Salz!"
  • (3) "Kannst du mir das Salz geben?"
  • (4) "Ich hoffe es stört Sie nicht, wenn ich die Frage aufbringe, ob es Ihnen möglich wäre, das Fenster freundlicherweise zu öffnen?"

Ein Beispiel für konventionalisierte Indirektheit zeigt sich in Beispiel (3), das eigentlich eine Frage zeigt, jedoch als indirekte Aufforderung zum Anreichen des Salzes verstanden wird. Während dies als höfliche Aufforderung einem face-threatening act vorbeugen kann, handelt es sich bei Beispiel (2) laut Levinson und Brown um eine on-record Aussage. Dies kann je nach situativen und persönlichen Umständen einen face-threatening act darstellen. Einen ähnlichen Effekt kann zudem ein übertriebenes Maß an Indirektheit bewirken wie das Beispiel (4) zeigt, in dem sprachliche Höflichkeit und somit die Höflichkeit ad absurdum geführt wird.

Kritik and Levinson und Brown

Levinsons und Browns Theorie zur sprachlichen Höflichkeit und Vermeidung von positive und negative face threatening acts wurde in der Vergangenheit in zwei wesentlichen Punkten kritisiert. Zum einengilt die Theorie als ethnozentristisch, da sie stark an den westlichen Vorstellungen der individuellen Selbstverwirklichung orientiert sei. Das beinhaltet vor allem das westliche Verständnis des EGO vor dem ALTER. In manchen Kulturen sind persönliche Bedürfnisse jedoch stark an der sozialen Gruppe orientiert. Face-Bedürfnisse sind somit gesprägt von Normen und kultureller Wirklichkeit und weniger individualistisch. Dieser Ansatz entspricht dem traditionellen Verständnis des Face nach Goffman. Zum anderen werden sprachliche Höflichkeitsstrategien bei Levinson und Brown als universell dargestellt. Universell sei der Kritik hingegen jedoch nur die Höflichkeit als solches. Explizite Höflichkeitsstrategien wie sprachliche Indirektheit hingegen sind kulturspezifisch. Beispiele für unterschiedliche kulturelle Auffassungen von Höflichkeitsstrategien sind Komplimente und Vermeidungsstrategien.

  • Komplimente stellen in manchen Kulturen eine Bedrohung des Negative-Face dar, da sie die höfliche Distanz zwischen Personen minimieren. Komplimente an die Kindergesundheit sind zwar in vielen Ländern gern gesehen. In Ägypten gelten sie jedoch als böses Omen, da sie als Neidausdruck verstanden werden.
  • Vermeidungsstrategien werden in manchen Kulturen als unhöflich angesehen. Während in vielen europäischen Ländern Körperkontakt und direkte Anrede von Fremden möglichst vermieden wird, gilt in vielen afrikanischen Ländern die direkte Anrede von Fremden und der Körperkontakt als alltäglich.


Siehe auch

Face

Positive und Negative Face

Andere Sprachen

Literatur

  • Brown, Penelope und Levinson, Stephen (1978): Universals in Language Usage: Politeness Phenomena. In: Goody, E. N. [Hrsg.]: Questions and Politeness: Strategies in Social Interaction. Cambridge: Cambridge University Press, S. 56-311.
  • Goffman, Erving (1967): On Face-Work. An Analysis of Ritual Elements in Social Interaction. In: Ders.: Interaction Ritual. New York: Doubleday, S. 5-45.
  • Turner, Ken und Sbisa, E. (2013) [Hrsg.]: Handbook of Pragmatics: Pragmatics of Speech Actions. Berlin: Mouton de Gruyter.
  • Watts, Richard [Hrsg.] (1992): Politeness in Language. Berlin: Mouton de Gruyter.