Schema

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Ein Schema ist die Organisationseinheit des generalisierten, schnell abrufbaren Wissens über typische Zusammenhänge in einem Realitätsbereich und ein durch Erfahrungen entstandener (und im Langzeitgedächtnis gespeicherter) strukturierter Wissensbereich, dessen Aktivierung in der Textverarbeitung Inferenz ermöglicht.

Kommentare

In der Antike hatte Schema die Bedeutung von Gestalt. Kant (1781) verstand unter Schema auch ein Verfahren, durch anschauliche (stellvertretende) Vorstellungen die Inhalte abstrakter Begriffe verständlich zu machen. Als Konstrukt der Gedächtnis- und Kognitionsforschung dient der Begriff Schema der Beschreibung von Wissensstrukturen. Er wurde von Bartlett (1932) in die Gedächtnispsychologie eingeführt und wird in der Kognitiven Psychologie (Rumelhart 1980) zur Bezeichnung komplexer Wissenseinheiten verwendet (vgl. Minsky 1975: Rahmen/frames).

Als Schemata werden ganzheitliche, hierarchisch gegliederte Strukturen organisierten Wissens bezeichnet. Sie bilden globale Muster von Ereignissen, Zuständen und Handlungen in geordneten Abfolgen (meist geregelt durch zeitliche Nähe und Kausalität), z. B. RESTAURANT-BESUCH, ZUG-FAHRT, GERICHTSVERHANDLUNG.

  • Ein Schema ist ein ausgrenzbares konzeptuelles Teilsystem im Netzwerk, in dem auf Grund von Erfahrungen typische Zusammenhänge eines Realitätsbereiches repräsentiert sind (Ballstaedt & Mandl & Schnotz & Tergan 1981: 27)
  • Kognitive Schemata sind interne Datenstrukturen, in denen Erfahrungen verallgemeinert sind und die typische Sachverhalte bzw. zu erwartende Zusammenhänge aus einem bestimmten Realitätsbereich repräsentieren. Dabei kann es sich um Sachverhalte von unterschiedlichster Komplexität aus den verschiedensten Inhaltsbereichen handeln, [. . .] (Schnotz 1994: 61).

Nach Schwarz bezeichnet man als Schemata komplexe Wissensstrukturen [. . .], welche die Erfahrungen repräsentieren, die ein Mensch im Laufe seines Lebens macht (Schwarz 1992: 88). Schemata dienen danach als komplexe Organisationseinheiten und lassen sich in Form von Netzwerken darstellen (88). (Als Beispiel nennt Schwarz das Schema GEBEN. Das GEBEN-Schema hat nach Schwarz drei Konzeptvariablen: Variable X ist GEBER, Variable Y EMPFÄNGER, Variable Z GABE.) (89)

Nach Schwarz spielt die Schematheorie eine wichtige Rolle in der [. . .] Kognitiven Textwissenschaft (und hier insbesondere in der Textverarbeitungstheorie) bei dem Versuch zu erklären, welchen Einfluss standardisiertes Weltwissen auf den Prozess der sprachlichen Verarbeitung hat, [. . .] (Schwarz 1992: 90). Bei Konfrontation mit neuen Situationen werden Schemata aktiviert; und Texte werden verstanden, wenn die passenden Schemata genutzt werden (vgl. Schnotz 1994: 61). Da in einem Schema typische Informationen und deren Relationen integriert und als Schemawissen gespeichert sind, provozieren Schemata Erwartungen hinsichtlich der Textentwicklung und beeinflussen die Textverarbeitung: weitere in das gespeicherte Schema passende (und z. T. auch erwartete Informationen) werden selektiv aufgenommen und in das Schema integriert (vgl. Kintsch & van Dijk 1978, van Dijk & Kintsch 1983).

Schemata sind nach Schwarz sowohl Voraussetzungen als auch Ergebnisse von Informationsverarbeitungsprozessen (Schwarz 1992: 88). Die Textverarbeitung ist danach (ebenso wie andere Prozesse der Wahrnehmung und kognitiven Verarbeitung) ein schema-gesteuerter Prozess (vgl. Schwarz 1992: 89). Das in Schemata gespeicherte Wissen ermöglicht die Interpretation und (Re)Konstruktion von Textinhalten (155). Durch Schema-Wissen wird in der Textverarbeitung das Textwissen ergänzt und wird Inferenz ermöglicht, werden unvollständige oder mehrdeutige Informationen interpretiert und Kohärenzlücken überbrückt.

Siehe auch

Wissen, Wissensverarbeitung, Wissenssysteme, Weltwissen, rezeptive Textverarbeitung, inferieren, Konzept, Rahmen, Skript

Link

Eva Schoenke, Textlinguistik-Glossar

Literatur

  • Bartlett, Frederic Charles. 1932. Remembering. A Study in Experimental and Social Psychology. Cambridge: University Press.
  • Ballstaedt, Steffen-Peter & Mandl, Heinz & Schnotz, Wolfgang & Tergan, Sigmar-Olaf.1981. Texte verstehen, Texte gestalten. München/Wien/Baltimore: Urban & Schwarzenberg.
  • van Dijk, Teun A. & Kintsch, Walter. 1983. Strategies of Discourse Comprehension. New York/London: Academic Press.
  • Kant, Immanuel. 1781. Critik der reinen Vernunft. Riga: Hartknoch.
  • Kintsch, Walter & van Dijk, Teun A.. 1978. Toward a Model of Text Comprehension and Production. In Psychological Review 85/78, 363-394.
  • Minsky, Marvin. 1975. A Framework for Representing Knowledge. In The Psychology of Computer Vision. Winston, Patrick H. (ed.), 211 - 277. New York: McGraw-Hill. (1980 gekürzt abgedruckt in Frame Conceptions and Text Understanding (= Research in Text Theory 5). Metzing, Dieter (ed.), 1-25. Berlin/New York: de Gruyter.
  • Schnotz, Wolfgang. 1994. Aufbau von Wissensstrukturen. Untersuchungen zur Kohärenzbildung beim Wissenserwerb mit Texten (= Fortschritte der psychologischen Forschung 20). München/Weinheim: Psychologie Verlags Union.
  • Schwarz, Monika. 1992. Einführung in die Kognitive Linguistik (= UTB 1636). Tübingen: Francke.